Documenta in Kassel

1968

DIE SCHLAFFEN AUSSTELLUNGEN
ZUR 4. DOCUMENTA IN KASSEL

Wie ein Symbol für den Zustand (sowohl geistig als auch physisch), in dem sich die verschiedensten großen Kunst und Kulturausstellungen dieses Jahres befanden, erstreckte sich Christos Superriesenplastik (80m erwünschte Höhe im ersteiftem Zustand) schlaff und unansehlich über das Rasenfeld des Freiluftgeländes.

Ähnliche Bilder gab es überall auf allen diesen Ausstellungen etwa auch auf der Triennale wo überall fleißig aufgeblasen wurde und überall ebenso unter leisem Zischen die Luft ausging leicht pulsierende, zusammengesackte Gebilde in den letzten Zügen.

Rein technisch war daraus der Schluß für pneumatische Strukturen (kunstlerischer Art) zu ziehen, daß sie noch nicht für den Dauergebrauch für monatelange Schauen sind oder aber daß monatelange Schauen nicht für die heutige Kunst geeignet sind. Die heutige Kunst ist veränderbar, impermanent, nomadisch, augenblicklich.

Die Documenta stand sich einer veränderten Situation gegenüber und wollte (sollte) dokumentieren. Hatte man noch im Winter von großen Planen gehört, weiche gänzlich neue Ausstellungskonzeptionen versprachen (sogar New York hatte sich in eine leichte Documenta Erregung hineingesteigert), so ging im Mai offensichtlich die Luft aus. Die Documenta beschränkte sich im Grunde darauf, geläufige Kunstkonzepte in traditioneller weise zu dokumentieren. Hier wurde ein breiter und aktueller Überblick geboten, dein Laien, der wenig Ahnung vom Lauf der Dinge hat wurde gute Information geliefert, was so an Gebilden für Wand und Raum in aller Welt produziert wird. Ebenfalls wurde dokumentiert daß die Documenta unfähig ist eine solche Ausstellung den Objekten entsprechend zu hängen und zu stellen. Obwohl viel von ambiente und dergleichen geredet wird, zeigte sich, daß dies noch nicht beim Bilderaufhängen begonnen hatte. Wie etwa die großen Tafelbilder Al Helds im Haustraum gehängt waren oder vor allem die Placierung vieler er Plastiken erwies, daß hier neue Ideen und entsprechende Konzeption notwendig sind. (Auch der Österreicher Pichler hatte hier zu leiden.) Es zeigte aber auch, daß anscheinend die neuen Dimensionen der gezeigten Kunst vielleicht wegen hauptsächlich enzyklopädischem Interesse der Verantwortlichen nicht verstanden wurden.

Ein Künstler und ein Raum fielen aus diesem Rahmen der von Beuys. Es war wohl das beste der Documenta, obwohl fairerweise gesagt werden muß, daß andere, hätten sie auch einen entsprechenden eigenen Raum und entsprechende Kontrolle gehabt, vielleicht besser zur Geltung gekommen wären. Es soll hier nicht eine Würdigung der Künstler und ihrer Arbeiten gebracht werden, Information darüber brachte verdienterweise die Tagespresse in entsprechendem Maße. Die Auswahl der Personen war gut, es waren die wesentlichen Leute, wenn auch nicht immer mit wesentlichen Werken, verbeten.

Es war jedoch, wie eingangs erwähnt, kaum ein Versuch in neue Richtungen im Zusammenhang mit den Möglichkeiten, die so eine Ausstellung bieten kann, vorhanden. Eine Anlage von Geldmacher Mariotti war im Anfangsstadium steckengeblieben, andere Projekte, etwa ein Riesenfreiluftprojekt des Amerikaners Oldenburg, von dem zu Weihnachten begeistert die Rede war, wurden überhaupt nicht ausgeführt. Gerade solche Unternehmungen hätten stimulierend auf Besucher, Ausstellung und Entwicklung gewirkt.

Der Ambiente Teil, der als Sonderbereich eingeführt wurde, hätte wohl diese Aufgabe übernehmen können, aber die gezeigten Ergebnisse waren nicht überzeugend Beuys,

Kienholz, Samaras und Segals Raum ausgenommen. Flavin hatte zur gleichen Zeit eine bessere Ausstellung in München als es sein Raum in Kassel war.

Die Maler und Bildhauer, und ihrem Kielwasser die Kunstkritiker, haben neuerdings den großen Maßstab und den Umraum entdeckt und bieten nun Erzeugnisse in dieser Richtung an, die sich etwa envirorment oder ambiente nennen. Für den Architekten, der sich (seit Ledoux etwa oder den ägyptischen Pyramiden) mit absoluter Architektur auseinandersetzt bieten viele dieser Konzepte nichts Neues und selten Aufregendes, insbesondere wenn so oft die neue, ungewohnte Dimension vom Künstler nicht beherrscht wird, vor allem was das Detail in Material und Zusammenfügung betrifft, ein Phänomen das notwendigerweise bei solchen Größen auftritt und durch Denken im kleinen Modell nicht gelöst wird. (Chryssa etwa ist in ihren kleinen Objekten weit besser; eine schräge Konstruktion aus Alu Trägern von Morris ist durch die Weise wie Mies van der Rohe zwei Träger zusammenstellt, weit übertroffen; von diversen Spiegeleffekten gar nicht zu sprechen, die in den verschiedensten baulichen Realisationen weit souveräner und überzeugender gelöst sind.)

Einigen (wie etwa Flavin) gelingt es jedoch, durch extreme Reduktion und Heranziehung neuer Medien etwa Bekanntes verstärkt sichtbar zu machen oder neue Umwelterlebnisse zu provozieren. Hier liegen die Möglichkeiten für neue Beiträge zu Leben und Umwelt, hier lägen die Möglichkeiten für die Documenta.

H. H.